Besessenheit im Film: "Der Exorzist" (1974)
Besessenheit im Film: "Der Exorzist" (1974)
Ehemaliges Kino „Die Kurbel“, Sedanstraße 1
Denis Larisch
Ein Kommentar in der Rheinpfalz unmittelbar nach der Premiere des Films Der Exorzist lautete: „Wir hätten doch in ‚Effie Briest’ gehen sollen. Aber die jungen Christenmenschen vor den beiden auserwählten Frankfurter ‚Exorzisten’- Kinos hatten uns neugierig gemacht. ‚Sie werden von diesem Kinobesuch nicht genau so zurückkommen, wie sie hingegangen sind’, versprachen sie auf Handzetteln. Denn hinter diesem Film stehe ‚der raffinierte Angriffsplan Satans’. Der Teufel selbst an den Dreharbeiten beteiligt? Wir ließen uns hineintragen von der Masse gleichgesinnter Unbesonnener.“
Der Film, der es schaffte, die Massen in die Kinos zu locken, war The Exorcist des amerikanischen Regisseurs William Friedkin (*1935). 1973 in den USA angelaufen, wurde er einer der erfolgreichsten Filme des 20. Jahrhunderts – mit einer Einspielsumme von 300 Millionen Dollar und zahlreichen internationalen Auszeichnungen, darunter zwei Oscars. Die literarische Grundlage des Films bildete der Bestsellerroman von William Peter Blatty (*1928) mit gleichnamigem Titel, von dem unmittelbar nach Erscheinen 1971 allein in den USA 13 Millionen Exemplare verkauft wurden und der daraufhin seinen weltweiten Triumphzug antrat. 1972 wurde die erste deutsche Übersetzung herausgegeben, auf die bis heute zahlreiche Neuauflagen folgten. Als Film feierte The Exorcist just einen Tag nach Weihnachten, am 26. Dezember 1973, in den Kinosälen Amerikas seine Premiere, und im darauffolgenden Jahr lief er in 40 Großstadtkinos in Deutschland an. Stephen King (*1947), Zeitzeuge und Meister des Horrors, beschrieb die daraufhin einsetzende Hysterie um den Film wie folgt: „In jeder größeren Stadt, wo er lief, bildeten sich Schlangen um ganze Häuserblocks […]. Kirchengruppen liefen Sturm; Soziologen mit Pfeifen kommentierten; Nachrichtensendungen brachten an ereignislosen Abenden Ausschnitte. Das ganze Land geriet buchstäblich zwei Monate lang in den Besessenheitstaumel.“ Der Film verhandelt Themen wie Religion, Besessenheit und die Unzulänglichkeit der Wissenschaft. Der eigentliche Erfolg liegt jedoch in seiner Machart und in der schockierenden Darstellung des Exorzismus. Zumindest berichteten Zeitungen und Fernsehsender ausführlich über die Schockszenen sowie die Reaktionen der Zuschauer: von „Frauen, die während des Films eine Frühgeburt hatten, bis hin zu Herzattacken, schweren Kreislaufstörungen und Nervenzusammenbrüchen“, von einem „Mann, der plötzlich die Leinwand attackierte, um den Dämon zu vertreiben“, von Kinobesuchern, die nach der Vorstellung in eine psychiatrische Klinik eingeliefert werden mussten.
In Deutschland lief der Film im September 1974 an – in einer Zeit „nach dem Boom“, in einer Phase des stagnierenden wirtschaftlichen Wachstums und der Ölkrise, eine Zeit, in der sich das Misstrauen gegenüber religiösen Dogmen auch in der New-Age- und Esoterik-Bewegung niederschlug. Es war aber auch eine Phase, in der okkulte Themen an Bedeutung gewannen – wie die zeitgleiche Euphorie um ein anderes Medien-Spektakel, nämlich den Löffelbieger Uri Geller, zeigt.
In Deutschland hatte der Film ähnliche Erfolge wie in den USA. In Freiburg lief Der Exorzist sowohl im „City 1“ in der „Schwarzwaldcity“ als auch in der „Kurbel“, einem der damals größten Kinos der Stadt. Der Artikel im Feuilleton der Badischen Zeitung am Tag nach dem Kinostart war kritisch. Unter dem Titel „Kasperletheater für Kinder“ schrieb der Autor, wie fad die Story des Films sei, und dass wohl für den Erfolg des Films im Besonderen die Werbung verantwortlich sei. Denn „nach dem Werbetumult um diesen Film, der sonst hierzulande kaum zehn Zeilen wert gewesen wäre, kann der Kritiker sagen und schreiben, was er will: Niemand wird’s ihm glauben, und jeder will dabei sein, wenn er sein Scherflein an der Eintrittskasse abliefern darf.“
Der Exorzist in Freiburg steht exemplarisch für den Hype um einen der erfolgreichsten Filme des 20. Jahrhunderts. Der Film traf offenbar einen Nerv der Zeit. Regisseur Friedkin gelang es, aktuelle Ängste und Defizite zu erfassen und ihnen Gestalt zu verleihen. Der Film war auf technisch höchstem Niveau und gewann seinen Reiz auch durch die vielen Schockelemente. Durch die Werbekampagne der Produzenten sowie die umfassende Medienberichterstattung verstärkte sich der Sog noch. Es scheint, so auch der Artikel in der Badischen Zeitung, als wären die Menschen einem sozialen Zwang ausgesetzt gewesen, diesen Film sehen zu müssen, um sich eine Meinung zu bilden. Freiburg war da keine Ausnahme.
von Adrian Lenke und David Potthoff
King, Stephen: Danse macabre. Die Welt des Horrors in Literatur und Film, 4. Aufl., München, 1992.
Friedkin, William: The Exorcist (1973) 122 min.
Grosse, Wolf D.: Kasperletheater für Kinder. Der amerikanische Gruselfilm „Der Exorzist“ in zwei Freiburger Kinos, in: Badische Zeitung vom 23.9.1974.
Großhans, Sven: Das Schauspiel der Besessenheit – Exorzismus im Film, Berlin 2010.