Die lange Reise des Georg von Langsdorff (1822–1921): Amerikanischer Spiritualismus im Süden Deutschlands

  • 2 of 27
2

Die lange Reise des Georg von Langsdorff (1822–1921): Amerikanischer Spiritualismus im Süden Deutschlands

Friedrichstraße 43

Länge: 04:15 min
Nicole Freyler

Als Georg von Langsdorff am 26. Dezember 1921 mit 99 Jahren in Freiburg verstarb, hatte eine lange Reise ihr Ende gefunden. Am 14. Juli 1822 als Sohn des berühmten gleichnamigen Naturforschers in Rio de Janeiro geboren, verbrachte von Langsdorff die ersten Jahre seiner Kindheit in Brasilien. Nachdem die Familie aufgrund der Malaria- und Typhuserkrankung des Vaters im April 1830 ihre Heimat verlassen musste, kam der 8-jährige Georg zum ersten Mal nach Freiburg. Dort lernte er deutsch und ging für einige Jahre aufs Gymnasium bevor er sich als 21-Jähriger zum Wintersemester 1843/44 an der Universität zum Medizinstudium einschrieb.

Ein nächster großer Einschnitt in sein Leben war die Revolution von 1848/49. Aufgrund seiner führenden Rolle bei der revolutionären Erhebung in Freiburg musste er über Frankreich und die Schweiz in die USA auswandern. Hier wechselte er zur Zahnmedizin und kam zum ersten Mal mit dem Spiritualismus in Verbindung. In den USA hatte sich der Spiritualismus oder auch Spiritismus Mitte des 19. Jahrhunderts als quasireligiöse Bewegung rasch verbreitet. Ausgangspunkt waren die Ereignisse in Hydesville/New York 1848. In einem Farmerhaus waren sonderbare Klopfgeräusche aufgetreten, die von den Töchtern des Hauses als Botschaft eines Geistes gedeutet wurden. Sie behaupteten später mittels eines Klopfalphabets mit dem Geist in Verbindung getreten zu sein. Die Möglichkeit, Kontakt mit dem Jenseits und anderen spirituellen Wesen aufzunehmen, wurde rasch populär. Überall fanden Séancen statt, bei denen versucht wurde mittels Sensitiver (sogenannter Medien) Kontakt zu Verstorbenen aufzunehmen. Die Praxis des Tischrückens breitete sich zunächst in den USA und seit 1853 in Deutschland und Europa aus. 1859 hatte auch Langsdorff einer Séance in Ohio beigewohnt und war fortan von der Existenz von Geistern überzeugt.

Porträt Georg von Langsdorff: „Fort mit jeder Dogmatik, Vernunft allein sei Sieger“ (aus: G. v. Langsdorff: Das Ganze des Spiritualismus in 18 Lehrstunden nebst einigen, aus dem Jenseits beantworteten Fragen, Freiburg 1898)

Nachdem eine allgemeine Amnestie für emigrierte Revolutionäre erlassen worden war, kehrte Langsdorff nach Deutschland zurück und ließ sich schließlich 1870 in der Friedrichstraße 43 in Freiburg nieder. Hier praktizierte er als Zahnarzt und begann, sich für die Verbreitung der spiritualistischen Lehre in Deutschland einzusetzen. Er betrieb im eigenen Haus eine Privatklinik, in der sein Sohn als Heilmedium auftrat, und er verfasste eine Vielzahl spiritualistischer Texte. Beim Spiritualismus handelt es sich um eine Lehre, deren Vertreter (in Abgrenzung von den Spiritisten) nicht nur an die Existenz der Geister Verstorbener glauben, sondern ihr Wirken als treibende Kraft hinter allen Aspekten des Lebens sehen.

Ein weiterer, tiefer Einschnitt im Leben von Langsdorff war der Tod seiner Frau Amélie am 10. November 1892. Anhand seiner handschriftlich verfassten Lebenserinnerungen lässt sich zeigen, wie er dieses Ereignis mit der Lehre des Spiritualismus verband: In den Sterbeminuten seiner Frau erklärte Langsdorff den anwesenden Personen: „Nun erblickt sie die sie empfangenden Geister“, denn er war davon überzeugt, dass jeder Mensch neben seinem materiellen Körper auch einen Geist besitzt, der über den Tod des Körpers hinaus besteht. Und er ging davon aus, dass Kontakt zwischen der Welt der Sterblichen und der der Geister möglich ist.

Zuletzt muss auf einen besonderen Aspekt in der Lehre von Langsdorff verwiesen werden: In Anlehnung an den berühmten US-amerikanischen Spiritualisten Andrew Jackson Davis (1826–1910) forcierte auch Langsdorff die „sozialkritische[n] und gesellschaftsreformierende[n] Elemente des ‚Spiritualismus‘“ und setzte sich beispielsweise für Lyceen als neue Schulform und eine neue Konzeption der christlichen Lehre ein. Langsdorffs Biographie war durch seine Reisen und Erfahrungen mit verschiedenen Kulturen geprägt. Auch als Spiritualist unterschied er sich von den Standesgenossen seiner Zeit – vor allem durch das reformerische Potential, das er im Spiritualismus sah.

von Marco Felber

Langsdorff, Georg von: Das Ganze des Spiritualismus in 18 Lehrstunden nebst einigen, aus dem Jenseits beantworteten Fragen, Leipzig 1898.

Linse, Ulrich: Geisterseher und Wunderwirker. Heilssuche im Industriezeitalter, Frankfurt am Main 1996.

Sawicki, Diethard: Leben mit den Toten. Geisterglaube und Entstehung des Spiritismus in Deutschland 1770–1900, Paderborn 2002.

Wegner, Gunda: Georg von Langsdorff (1822–1921), Diss, Freiburg/Br. 1989.

Erinnerungen von Dr. med. Georg von Langsdorff († 26.12.1921), Stadtarchiv Freiburg: B1/90.