Hellseher als Helfer der Polizei? Ermittlungen im Fall "Mord auf der Weißtannenhöhe" (1928)

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Hellseher als Helfer der Polizei? Ermittlungen im Fall "Mord auf der Weißtannenhöhe" (1928)

Amtsgericht, Friedrich Ebert-Platz 2 (heute: Holzmarkt)

Länge: 05:16 min
Denis Larisch

Mit der zunehmenden Entwicklung des Wissenschaftlichen Okkultismus wurde in der Weimarer Republik die Mitwirkung von Hellsehern und Medien bei polizeilichen Ermittlungsarbeiten zu einer verbreiteten, gleichzeitig aber umstrittenen Praxis. Exemplarisch für den kriminologischen Einsatz von Telepathie und Hellsehen steht ein Fall der Staatsanwaltschaft Freiburg, die damals im Gebäude des Amtsgerichts untergebracht war. Am 4. Juni 1928 wurden die Cousinen Luise (25 Jahre) und Ida Gersbach (35 Jahre) als vermisst gemeldet, nachdem die beiden Lehrerinnen aus Mannheim von ihrer Pfingstwanderung im Schwarzwald nicht zurückgekehrt waren. Ihre Leichen wurden später mit durchgeschnittenen Kehlen und Kopfschüssen im Gebüsch auf der Weißtannenhöhe bei Breitnau gefunden und wiesen alle Spuren eines Sexualverbrechens auf.

Über Freiburg und den Schwarzwald hinaus erregte die Tat großes Aufsehen. Insgesamt gingen über 1.000 Hinweise und Anzeigen aus der Bevölkerung bei der ermittelnden Freiburger Kriminalpolizei ein, die jedoch nicht zur Aufklärung der Tat beitrugen. Um nichts unversucht zu lassen, entschloss sich die Staatsanwaltschaft Freiburg auf Drängen der Angehörigen und der Bevölkerung, neben den allgemeinen Fahndungsmaßnahmen auch Hellseher hinzuzuziehen. In einem Schreiben an das Polizeipräsidium in Berlin und an das Landeskriminalamt Dresden bat die Staatsanwaltschaft um Auskunft über Ergebnisse und Erfahrungen beim Einsatz von Hellsehern und um die Nennung von geeigneten Medien. Unabhängig davon, ging bei den zuständigen Behörden in Freiburg sowie bei überregionalen Dienststellen eine Vielzahl an Hinweisen ein, die auf hellseherischen Eingebungen basierten. Beispielsweise berichtete ein Medium, sehr medial veranlagt zu sein. Ohne es zu wollen, dränge sich ihm ein Bild vor Augen: Der Täter müsse Ende 30 bis Anfang 40 sein. Des Weiteren solle er furchtbar breite, rote und ungepflegte Hände haben sowie eine Narbe oder ein organisches Leiden an der Schulter bzw. in der Nierengegend.

Ein anderes Medium sagte bei der Polizei aus, dass der Mörder dem Arbeiterstand angehöre und Karl Fischer heiße. In seinem Rucksack habe er noch Esswaren und einen Revolver mit drei Patronen. Außerdem solle der Mörder schwer zu finden sein und einen Pass auf den Namen Sebastian Roth bei sich tragen. Ein Hellseher aus Ludwigshafen war sich dagegen sicher, dass der Täter eine starke Statur habe und einen grauen Sportanzug mit Wadenstrümpfen trage. Auch habe er deutlich vernommen, dass der Täter Alfred oder Arnulf Arnold heiße und in Zürich in der Kappelerstraße 11 oder 21 wohne. Nachforschungen der Züricher Kriminalpolizei ergaben, dass es überhaupt kein Haus mit der Nummer 21 gab sowie weder ein Alfred noch Arnulf Arnold in dem Haus mit der Nummer 11 gemeldet war. Offensichtlich von den 10.000 Mark Belohnung motiviert, behauptete ein weibliches Medium aus Straßburg, mittels einer Glaskugel wesentlich zur Klärung des Falles beitragen zu können. Keine ihrer Angaben stimmte. Auch lehnte sie es ab, an den Tatort zu fahren, fügte jedoch hinzu, dass sie sich noch nie geirrt habe.

Das Amtsgericht entlang der Kaiserstraße, um 1930 (Stadtarchiv Freiburg, M 70 S 202–27 Nr. 48)

Ergebnislos blieb des Weiteren eine Tatortbegehung mit der Freiburger Hellseherin Emma Huber, an der sich auch Kriminalkommissär Mutschler beteiligte, dessen Büro im Amtsgerichtsgebäude untergebracht war. Der protokollierende Polizeioberinspektor Schneble, berichtete: „Schon die Begrüssung, die mir Frau Huber entgegenbrachte, war eine ausserordentlich komisch auffallende. Als ich ausstieg, um die Frau Huber zum Einsteigen in das Auto zu bewegen, geriet sie in eine Art Ekstase […]. In diesem Zustand beschäftigte sie sich immer wieder mit dem Mord auf der Weisstannenhöhe. Ihre Auslassungen hierüber waren äusserst unzusammenhängend und vollständig sinnlos.“ (Bericht im Staatsarchiv Freiburg, A 25/1, Nr. 450).

Das Medium konnte weder den Tatort finden, noch brauchbare Angaben zum Täter machen. Ähnlich wie Frau Huber gab ein Medium aus Pirmasens an, aufgrund besonderer Fähigkeiten zeigen zu können, welchen Weg der Täter nach der Tat genommen habe, sowie Auskünfte über das Haus, den Täter und Beweise geben zu können, sobald es sich in der Umgebung des Tatorts befände. Nachdem das Medium den Tatort weit über die Weißtannenhöhe verfehlt hatte, erklärte es schließlich, infolge der Überanstrengung nicht mehr in der Lage zu sein, den Tatort zu suchen und weiter zu experimentieren.

Im Februar 1929 bilanzierte schließlich der Erste Staatsanwalt, dass die Tätigkeit der Hellseher ohne jeden Wert war. Noch im gleichen Jahr untersagte das Preußische Innenministerium den Polizeibehörden die offizielle Hinzuziehung von Hellsehern in der Ermittlungsarbeit. Der Doppelmord auf der Weißtannenhöhe wurde nie aufgeklärt.

von Karsten Koreck

Hellwig, Albert: Okkultismus und Verbrechen. Eine Einführung in die kriminalistischen Probleme des Okkultismus für Polizeibeamte, Richter, Staatsanwälte, Psychiater und Sachverständige, Berlin 1929.

Middendorf, Wolf: Der Mord auf der Weißtannenhöhe, oder: Wo Hellseher ihre Grenzen fanden, in: Freiburger Almanach 36 (1985), S. 79–80.

Schellinger, Uwe: Trancemedien und Verbrechensaufklärung. „Die Kriminaltelepathie“ in der Weimarer Republik, in: Marcus Hahn/Erhard Schüttpelz (Hrsg.): Trancemedien und Neue Medien um 1900, Bielefeld 2009, S. 311–340.