Die Experimente von Max Schottelius mit dem Hellseher Ludwig Kahn (1912)

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Die Experimente von Max Schottelius mit dem Hellseher Ludwig Kahn (1912)

Ludwigstraße 47

Länge: 02:28 min
Nicole Freyler

Im Jahr 1912 führte der Freiburger Medizinprofessor Max Schottelius (1849–1919) mit dem aus Offenburg stammenden vermeintlichen Hellseher Ludwig Kahn (1873–ca. 1966) drei Versuchsreihen in seiner Villa in der Ludwigstraße 47 durch. Kahn war bereits 1908 in der Untersuchungshaft in Freiburg bzw. bei der psychologischen Begutachtung durch angeblich hellseherische Fähigkeiten aufgefallen. Diese wurden von mehreren Gutachtern bestätigt, spielten im Prozess allerdings keine Rolle. Vier Jahre später suchte Kahn den Kontakt zu Schottelius und bat ihn um die wissenschaftliche Untersuchung seiner Fähigkeiten. Schottelius ließ sich darauf ein. Dabei gelang es Kahn an drei Tagen, Zettel, die in seiner Abwesenheit beschriftet und gefaltet worden waren, zu lesen, ohne sie zu entfalten oder auf andere Weise einzusehen – laut Protokoll von Schottelius sogar ohne sie zu berühren.

Die drei von Schottelius beschrifteten Zettel: Trüb’ nie den Brunnen / der dich tränkte / Wirf keinen Stein hinein; Professor Dr. / Max Schottelius / 15. November 1849; sowie auf Hebräisch mit lateinischen Buchstaben: Afar ata / weel afar / teschub (in: Journal für Psychologie und Neurologie 20 (1913), H. 5/6, S. 239)

Schottelius konnte sich diese Vorgänge nicht erklären und beschloss, seine Beobachtungen einer breiteren Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen. Er veröffentlichte Artikel im Journal für Psychologie und Neurologie, im Kosmos sowie in einer französischen Fachzeitschrift. Daraufhin erhielt er zahlreiche Zuschriften; zudem erschienen mehrere Reaktionen in wissenschaftlichen Zeitschriften. Dies veranlasste Schottelius zu weiteren Veröffentlichungen, in denen er sich erneut für eine „natürliche“ Erklärung der Phänomene aussprach. Okkultistische Deutungen wies er als unwissenschaftliche Spekulationen zurück, aber auch Hypnose und Betrug schloss er aus. Daraufhin wurde teilweise scharfe Kritik an seinen Untersuchungsmethoden laut. Die Unterstützer Schottelius’ warfen den Kritikern Dogmatismus und mangelnde Praxisorientierung vor. Auch wurden Verbindungen zwischen Kahn und dem vermeintlichen Medium Bert Reese (1851–1926) aufgedeckt. Dieser führte ähnliche „Tricks“ wie Kahn auf, war aber bereits als Taschenspieler entlarvt worden.

Portrait Ludwig Kahn, etwa 1912/13 (aus: Journal für Psychologie und Neurologie 21 (1914), H. 1, S. 31)

Neuen Auftrieb bekam die Debatte ab 1925, als Kahn in Paris ein Comeback feierte und von renommierten Wissenschaftlern unter der Leitung des Nobelpreisträgers für Medizin Charles Richet (1850–1935) untersucht wurde. Auch bei dieser Gelegenheit wurden die alten Vorwürfe und Argumente ausgetauscht. Letztendlich konnte Ludwig Kahn bei Versuchen nie des Betruges überführt werden. Er starb um das Jahr 1966 hochbetagt in den USA. Die Freiburger Versuche von Schottelius mit Kahn bildeten den Ausgangspunkt der ersten universitären Debatten über Hellsehen in Freiburg, allerdings gelang es den Vertretern des wissenschaftlichen Okkultismus nicht, ihr Fach als gleichberechtigt in der Debatte um die Deutung der Phänomene zu etablieren.

von Maximilian Baunach

Osty, Eugen: Ein Mann mit paranormaler Erkenntnis: Ludwig Kahn (übersetzt von Rudolf Tischner), in: Psychische Studien 52 (1925), H. 10, S. 582–596.

Schellinger, Uwe: Faszinosum, Filou und Forschungsobjekt. Das erstaunliche Leben des Hellsehers Ludwig Kahn (1873–ca. 1966), in: Die Ortenau. Veröffentlichungen des historischen Vereins für Mittelbaden 82 (2002), S. 429–468.

Schellinger, Uwe: Der Fall Kahn: Die erste universitäre Debatte über „Hellsehen“ und „Telepathie“ am Ende des Kaiserreichs, in: Barbara Wolf-Braun (Hrsg.): Medizin, Okkultismus und Parapsychologie im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Wetzlar 2009, S. 100–122.

Schottelius, Max: Ein Hellseher, in: Journal für Psychologie und Neurologie 20 (1913), H. 5/6, S. 236–252.