Karl May in Freiburg: Ein spiritistisches Erlebnis (1899)

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Karl May in Freiburg: Ein spiritistisches Erlebnis (1899)

Waldrestaurant St. Ottilien, Kartäuserstraße 135

Länge: 04:21 min
Denis Larisch

Sie haben noch nichts vom Spiritismus gehört?“
„Nein.“
„Von Leuten, welche Spiritisten genannt werden?“
„Nie.“
„Sie werden Spiritus trinken“, bemerkte da sein Sohn außerordentlich geistreich.

Dieses Zitat stammt aus Karl Mays Roman Der verlorene Sohn von 1886 und wirft die Frage auf, was Spiritismus eigentlich ist. Der Begriff bezieht sich tatsächlich auf das lateinische Wort spiritus, allerdings im Sinne von „Geist“. Die Anhänger des Spiritismus glauben daran, dass die „Kommunikation mit den Geistern der Verstorbenen, Bewohnern fremder Planeten und höheren nichtmenschlichen Wesen“ möglich ist, vermittelt durch Personen mit besonderen Fähigkeiten (sogenannte Medien).

Karl May (1842–1912) wird von der heutigen Forschung immer wieder mit dem Spiritismus in Verbindung gebracht. In seinen Büchern finden sich zahlreiche Verweise (wie das obige Zitat), er nahm an Séancen teil und beide Ehefrauen waren in der spiritistischen Szene aktiv. Zwar distanzierte sich May öffentlich immer wieder vom Spiritismus – allerdings vor allem im Rahmen von Gerichtsprozessen, was strategisch motiviert gewesen sein mag.

Ein zentrales Ereignis, das dafür spricht, dass Karl May Spiritist war, fand in dem beliebten Ausflugslokal St. Ottilien bei Freiburg statt. Es ist durch die Erinnerungen von Paula Fehsenfeld (1858–1947), der Frau des Freiburger Verlegers Friedrich Ernst Fehsenfeld (1853–1933), belegt. Mit ihm hatte Karl May von 1891 bis zu seinem Tod 1912 eng zusammen gearbeitet. 1899 traf sich das Verlegerpaar mit Karl May und seiner Frau Emma (1856–1917) sowie der Freundin der Familie Klara Plöhn (1864–1944), die später Mays zweite Frau werden sollte, im Wirtshaus in St. Ottilien.

Friedrich Ernst und Paula Fehsenfeld zu Besuch bei Karl (links) und Klara May, 1905 (aus: Olenhusen, Götz von u.a.: Karl May und Freiburg. Der Freiburger Karl-May-Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld, Bamberg 2002, S. 10)

Man sprach über dies und das, und die beiden Begleiterinnen Mays berichteten euphorisch von spiritistischen Sitzungen in ihrer sächsischen Heimat, von eindrücklichen Materialisationen und vom Tischrücken. Daraufhin setzte sich die Gesellschaft um einen Tisch, legte die Hände auf und versuchte einen Geist zu beschwören. Zunächst ohne Erfolg. Plötzlich jedoch befiel Karl May ein Zittern und seine Hand flog hin und her. Er verlangte Bleistift und Papier, um ein Gedicht niederzuschreiben, das er „von drüben“ empfangen habe. Das Gedicht ist nicht überliefert, doch erinnerte sich Paula Fehsenfeld an die erste Zeile: „Oh möchtest Du der Stimme lauschen.“ Aus der Trance erwacht, berichtete Karl May, dass ihm der sechs Jahre zuvor verstorbene Vater von Friedrich Ernst Fehsenfeld erschienen sei. Im Übrigen nicht zum ersten Mal. May schrieb bereits einige Zeit zuvor an seinen Verleger über dessen verstorbenen Vater: Er „besucht uns sehr häufig, und wir sprechen sehr viel mit ihm.“

Das Ereignis von St. Ottilien zeigt Karl May als aktiven Spiritisten, der nicht nur an den Kontakt mit Geistern glaubte, sondern selbst mediale Fähigkeiten zu haben schien. Das Verlegerpaar selbst stand dem Spiritismus im Übrigen skeptisch gegenüber. Im Verlagsprogramm findet sich keine spiritistische oder okkultistische Literatur (im Gegensatz etwa zum Freiburger Lorenz Verlag). Paula Fehsenfeld kommentierte das Erlebnis in St. Ottilien in ihren Erinnerungen spitz: „Ich wüsste nicht, warum gerade mein Schwiegervater sich hätte mit mir aus dem Jenseits verbinden wollen.“

von Fides Geist

Fehsenfeld, Paula: Erinnerungen einer 84-jährigen an Karl May, in: Dieter Sudhoff (Hrsg.): Karl May. Briefwechsel mit Friedrich Ernst Fehsenfeld, II: 1907–1912, Bamberg/Radebeul 2008, S. 444–454.

Diethard Sawicki: Okkultismus – Spiritismus – May. Ein Mann seiner Zeit, in: Jahrbuch der Karl-May- Gesellschaft 36 (2006), S. 127–135.

Götz von Olenhusen, Albrecht u.a. (Hrsg.): Karl May und Freiburg. Der Freiburger Karl-May-Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld, 2. Aufl., Bamberg/Radebeul 2013 (zu erwerben hier).

Steinmetz, Hans-Dieter: Jenseits von Spiritismus und Spiritualismus? Über den Umgang mit mediumistischen Phänomenen in Karl Mays Lebensumfeld, in: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (2009), S. 131–271.

Sudhoff, Dieter (Hrsg.): Karl May. Briefwechsel mit Friedrich Ernst Fehsenfeld, I: 1891–1906, Bamberg/Radebeul 2008.