Die Verfolgung von Okkultisten im Dritten Reich: Das Beispiel Elsbeth Ebertin

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Die Verfolgung von Okkultisten im Dritten Reich: Das Beispiel Elsbeth Ebertin

Rheinstraße 60

Länge: 05:10 min
Nicole Freyler

Die Astrologin Elsbeth Ebertin (1880– 1944) war seit der Weimarer Republik eine der wichtigsten Protagonistinnen in der Astrologie. Ihre zahlreichen astrologischen Broschüren, Almanache, Romane sowie ihr Filmwerk In den Sternen steht es geschrieben (1925) verhalfen ihr in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu überregionaler Popularität. Nachdem sie einige Zeit während des Krieges in Bad Kreuznach verbracht hatte, lebte sie für kurze Zeit in Coburg und in Freiburg. Im Jahr 1923 siedelte sie kurzzeitig nach München, da sie, nach eigenen Aussagen, spürte, dass sich dort aufrüttelnde Ereignisse abspielten, die sie in unmittelbarer Nähe erleben wollte. Im Almanach Ein Blick in die Zukunft erwähnte sie auch auf Anfrage einer fanatischen Hitler-Anhängerin, dass „ein am 20. April 1889 geborener Kämpfer […] durch allzu kühnes Vorgehen in persönliche Gefahr geraten und möglicherweise bald dazu beitragen [kann], den Stein ins Rollen zu bringen! Nach der Gestirnskonstellation ist der Mann durchaus ernst zu nehmen und zu einer bedeutenden Führerrolle in zukünftigen Kämpfen bestimmt.“ Diese Prophezeiung wurde von der Leserschaft auf Adolf Hitler und den Putschversuch im November des Jahres 1923 bezogen. Diese Vorkommnisse verhalfen Elsbeth Ebertin zu zusätzlicher Bekanntheit.

Nach ihrem Filmerfolg 1925 bezog Ebertin ein Eigenheim in Eschenau bei Heilbronn, um dort ihren astrologischen Tätigkeiten in Ruhe nachzugehen. Ende der 1930er-Jahre zog sie abermals nach Freiburg, in die Rheinstraße 60. Dort lebte sie und hielt täglich zwischen 14 und 17 Uhr astrologische Beratungen ab. Daran änderte sich auch nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zunächst nichts – bis 1941, als Ebertin verhaftet wurde.

Die Nationalsozialisten hatten eine ambivalente Einstellung zum Okkultismus. Einerseits folgten einige NS-Führer wie Heinrich Himmler, Rudolf Heß oder Alfred Rosenberg ihren okkult-esoterischen Neigungen. Andererseits wurden Okkultisten (Astrologen, Spiritisten, Wahrsager, auch Theosophen und Anthroposophen) im Zuge der „Sonderaktion Heß“ im Juni 1941 verfolgt. Dieser Aktion ging voraus, dass sich Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß eigenmächtig nach England abgesetzt hatte, um mit britischen Funktionären über einen Sonderfrieden zu verhandeln. Rasch fand das NS-Regime eine propagandistisch verwertbare Begründung für die Flucht und machte Heß’ Interesse für Okkultismus und Astrologie verantwortlich. Den scharfen Sofortmaßnahmen, die das Regime ergriff, fielen vor allem Astrologinnen und Astrologen zum Opfer. So auch Elsbeth Ebertin, die am 9. Juni 1941 in Freiburg inhaftiert und erst am 22. November wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Aus dem Gefängnis schrieb sie am 21. Juni einen Brief an eine Freundin, der ihre Gefühlslage und ihre Sorgen widerspiegelt: „Ich wurde vor 3 Wochen hier in Schutzhaft genommen, bin im Bezirksgefängnis II. Freiburg i. B. und ersehne die Stunde da ich endlich nach diesem furchtbaren Martyrium zu einem Verhör komme! […] Seit 9. d. M. habe ich keine Verbindung mehr, auch keine Post erhalten. Als die Gestapo kam, wollte ich gerade mehrere Postanweisungen absenden, hatte auch mehrere Zehnmarkscheine im Arbeitszimmer liegen, doch in der Verwirrung vergaß ich mir Geld einzustecken; da die Beamten so taten, als handle es sich nur um ein Verhör oder Schutzhaft von nur paar Tagen, was in meinem Fall schon traurig genug gewesen wäre. – Aber nach diesem Gefängnisaufenthalt bin ich zu der Erkenntnis gekommen, daß es besser ist ich ziehe mich dann ganz von den Menschen zurück, löse m. Haushalt auf, – begnüge mich mit einer ganz kleinen Wohnung u. vollende meine Werke. – Je mehr man Sachen hat, desto mehr hat man Sorgen. Während des Gefängnis-Aufenthaltes geht m. Miete 110 Mk pro Monat auch weiter. So kommen, da man jetzt keine Einnahmen hat, auch schwere materielle Sorgen. Der Staatsbeamte, oder Menschen, die festes Gehalt oder eine Rente oder Pension haben, wissen ja nicht, was es heißt, sich im freien, geistigen Beruf durchzuringen.“ (Staatsarchiv Freiburg, G 701/2-166).

Porträt Elsbeth Ebertin, ca. 1925 (aus: Ebertin, Elsbeth: Der Mars im Todeshause. Astrologischer Filmroman nach einer wahren Begebenheit, Görlitz 1925)

Die Jahre nach ihrer Freilassung verbrachte Ebertin zurückgezogen in ihrer Wohnung in der Rheinstraße. Dort verstarb sie am 27. November 1944 beim Luftangriff der Royal Air Force auf die Stadt. Ihr Sohn Reinhold berichtete später, dass sie den Angriff vorausgesehen hätte. Sie habe „die Krise kommen sehen, kannte sie doch die Geburtsbilder vieler Menschen der nächsten Häuser. Doch wenn sie geflohen wäre, hätte das ein furchtbares Aufsehen erregt, und sie wäre sofort von der Gestapo gefaßt worden, weil man davon sprach: ‚Solange Frau Ebertin noch hier ist, kann uns nicht viel passieren’.“

von Thorsten Mann

Ebertin, Reinhold: Das Schicksal in meiner Hand, Aalen 1975.

Howe, Ellic: Uranias Kinder. Die seltsame Welt der Astrologen und das Dritte Reich, Weinheim 1995.

Schellinger, Uwe: Die ‚Sonderaktion Heß’ im Juni 1941: Beschlagnahmung und Verwertung von Buchbeständen der „Geheimlehren“ und „Geheimwissenschaften“, in: Regine Dehnel (Hrsg.): NS-Raubgut in Museen, Bibliotheken und Archiven. Viertes Hannoversches Symposium, im Auftrag der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek, Frankfurt am Main 2012, S. 317–341.